Blog Weingut Thörle
Christoph Thörle zeigt mir aus dem gläsernen Eckzimmer im ersten Stock des Weingutes den eindrucksvollen Rundumblick: "Bei klarer Sicht sehen wir den Feldberg im Taunus, den Donnersberg in der Pfalz und die Weinberge in Hallgarten im Rheingau!" erklärt er. Rheinhessen - das "Land der tausend Hügel!" – die Weinbergshügel teilen sich rund 3.000 Weinbaubetriebe. Was machen die Thörles anders? Warum haben ausgerechnet sie sich in den letzten Jahren so dynamisch in der Spitzengruppe der rheinhessischen Weingüter etabliert?
Wir sitzen in der Vinothek in dem neuen Weingutsgebäude: Uta Mück-Thörle und ihr 36-jähriger Sohn Christoph. Begrüßt hat mich der 38-jährige Johannes Thörle – aber dann muss er weg und überlässt das zeitraubende Weinjournalistengespräch seiner Mutter und seinem Bruder.
"Das geht bei uns nahtlos. Mein Bruder Johannes konzentriert sich mehr auf die Weinproduktion, meine Mutter und ich engagieren uns im Vertrieb, mein Vater bringt seine Erfahrung im Weinberg ein – aber im Grunde ist jeder für alles zuständig." Meine Frage, ob die Brüder miteinander konkurrieren, hat sich damit schon erübrigt. Johannes hat an der Hochschule Heilbronn bei Prof. Dr. Ruth Fleuchaus Weinbau studiert, Christoph Wirtschaftsinformatik an der TU Darmstadt. Nachdem er bei KPMG als Unternehmensberater gearbeitet hatte, stieg er 2011 in das aufstrebende Weingut ein. Im Ursprung ist der Betrieb ein typischer rheinhessischer, landwirtschaftlicher Mischbetrieb.
Weinbau gibt es schon seit Jahrhunderten in der Familie – aber durch die Realteilung war der Betrieb sehr geschrumpft: Den Zehnthof in Saulheim überließ der Großvater seinen Schwestern. Vater Rudolf Thörle legte den Grundstein für die heutige Blüte in den 80er- Jahren: In den Zeiten der Weinkrise investierte er in schwierig zu bewirtschaftende Weinberge, von denen er aber hochwertige Weine erwartete. Ein Winzer mit Weitblick.
Woher kommt das Qualitätsstreben? "Mein Mann und ich sind 'genussaffin', das hat die Jungs inspiriert!" weiß Uta Mück-Thörle zu berichten. Legendär ist das Menü, das Christoph und sein Bruder Johannes zubereitet haben, da waren die beiden so zehn und zwölf: Es gab eine Menükarte, mehrere Gänge mit begleitenden Weinen, unter anderem wurden geschmorte Wachteln serviert.
Häufig probiert die Familie Weine aus anderen Weinanbaugebieten – so schulen sie ihren Geschmackssinn. "Wir sind viel gereist, haben viele Weinregionen besucht, darunter auch einige Mitgliedsstädte der Great Wine Capitals", erzählt Uta Mück-Thörle. Johannes hat ein halbes Jahr lang in Südafrika in einem Weingut gearbeitet – von dort hat er sein Interesse an Cabernet Sauvignon und Sauvignon Blanc mitgebracht. Auch Christoph ist international unterwegs: vor allem in Kanada und Asien. Er spricht sogar Mandarin. Das Weingut exportiert in 40 Länder – die Exportquote liegt bei 40 %.
2019 hat die Familie nach langjähriger Planung den großen Schritt gewagt und ein neues Weingutsgebäude am Ortsrand in der Lage Saulheimer Hölle ("Hölle" bezeichnet einen leichten Abhang) gebaut. Der Neubau entspricht moderner, schnörkelloser Weingutsarchitektur: Die Holzfassade aus Lärche bettet das Gebäude in die Weinbergslandschaft ein. Den Stein aus der Region, den Kalkstein, haben sie als Zitat an einer Wand in der gläsernen Vinothek verbaut. Die Familie hat sich weltweit von führenden Weingütern in Südafrika, Argentinien, Italien und vor allem Österreich inspirieren lassen.
Den begehbaren Wein-Klimaschrank entdeckte Christoph auf den Philippinen – und hat ihn von einem Schlosser aus der Region nachbauen lassen. In der Vinothek können Weintouristen nun stilvoll die Weine des 28 Hektar Weingutes verkosten: In erster Linie Weißweine – Riesling first!
Das Aushängeschild sind die Saulheimer Ortsweine, charakterstark, mit angenehmem Schmelz. Der Silvaner aus der Lage Probstey gehört zu den Besten der Region. Sehr ansprechend finde ich die Spätburgunder: ausgebaut mit feinfühligem Barriqueeinsatz und unfiltriert abgefüllt zeigen sie eindrucksvoll, welches Rotweinpotential in Rheinhessen vorhanden ist.
Kein Wunder also, dass Weinfreunde aus den Großstädten des Rhein-Main- Gebiets zum „After Work Tasting“ nach Saulheim pilgern und entspannt auf der Terrasse den rheinhessischen Weitblick im Glas und in der Natur genießen.
Über den Blogger
Der TV- und Weinjournalist Wolfgang Junglas betreut beim SWR Fernsehen in Mainz in der Unterhaltungsredaktion Sendungen wie "Wahl der Deutschen Weinkönigin." Er ist Buchautor, Vorsitzender von Weinfeder eV, Präsident von FIJEV und Lehrbeauftragter an der Hochschule Geisenheim – und seit 2021 der Blogger von GWC Mainz | Rheinhessen.