Blog Weingut Dreissigacker
Wir treffen uns in Bechtheim, im Ortskern: Eine Gasse führt zu einer typischen rheinhessische Hofreite. Hübsch saniert in grau-weiß, so wie es viele Weinbaubetriebe gibt. Der 40-jährige Jochen Dreissigacker wirkt äußerlich ruhig – aber innerlich zieht es ihn weiter: Hier in diesen historischen Räumen, in der Vinothek, kann er mir seine Vision nicht zeigen.
Wir fahren aus dem Ort raus – weg vom Showroom, hin zu seiner Vision von einem modernen Weingut. Wow – so groß hätte ich mir die neue Betriebsstätte nicht vorgestellt: In der Lage Bechtheimer Heiligkreuz liegt eingeschnitten in den Weinberg ein terrassiertes Weingut. Ein begrüntes Dach auf drei Ebenen, darunter ein schmales Fensterband. Trotz der Größe fügt sich der Bau harmonisch in die Landschaft ein. Das Weingut ist neun Meter tief in den Hang geschnitten, passt sich der rheinhessischen Hügeltopographie an, nimmt sie auf. Das Gebäude folgt der Terroir Philosophie des Winzers: Der Wein wird in der Erde verarbeitet, in der die Rebstöcke wachsen.
Wie kommt der junge Winzer dazu, ein Projekt dieser Größenordnung umzusetzen? "Lern was Vernünftiges!" empfahlen ihm seine Eltern Frieder und Ute Dreissigacker. Den klassischen rheinhessischen 12-Hektar-Betrieb mit Straußwirtschaft und 45 Weinen auf der Karte sollte sein älterer Bruder Christian übernehmen. Also lernte Jochen erstmal in einem Steuerberaterbüro - aber die Liebe zum Wein blieb. In den renommierten Weingütern Bergdolt (Pfalz) und Keller (Rheinhessen) absolvierte er seine Winzerausbildung – in Weinsberg legte er die Prüfung zum Weinbautechniker ab. 2002 übergaben seine Eltern ihm und seinem Bruder Christian den Betrieb – da ist Jochen gerade mal 21 Jahre alt, sein Bruder nur wenig älter.
Jochen bringt neue Ideen in den Familienbetrieb, Christian hilft ihm diese umzusetzen. Terroir heißt das Zauberwort für das neue Profil des Weinguts. Zielgerichtet sucht Jochen Weinberge mit alten Riesling Rebstöcken. Er tauscht sie gegen Lagen mit Dornfelder Reben. Aber es blieb nicht bei der Konzentration auf Riesling: Der ganze Betrieb wurde auf den Kopf gestellt und neu ausgerichtet. Christian entscheidet sich für einen anderen Weg: Als sich die Gelegenheit bietet, erwirbt er das Weingut Dr. Koehler in Bechtheim und fokussiert sich auf trinkfreudige Weine, vor allem Burgundersorten.
Jochen führt das Weingut ab 2006 alleine und feilt weiter an seiner konsequenten Weinphilosophie: Konzentration auf Riesling, Spontanvergärung, Handlese, Trauben schonende Verarbeitung, lange Reifezeit, ökologische Produktionsweise. Seit 2020 ist der 48 Hektar Betrieb ökozertifiziert.
Mit der Planung und dem Bau des imposanten neuen Weingutbaus begann Jochen Dreissigacker 2006 – im Jahre 2017 kann er die erste Ernte in dem neuen Gebäude verarbeiten. Die Trauben werden in Kisten angeliefert und per Falldruck transportiert. Die Tank- und Fasskapazitäten reichen für 1 ½ Ernten: Ungewöhnlich viele kleine Tankeinheiten ermöglichen den gezielten Ausbau kleiner Gebinde.
Wein-Dirigent Jochen Dreissigacker arbeitet mit einem jungen engagierten Team zusammen. Die Weine, vor allem die Lagen Rieslinge, zeigen eigenständigen Charakter. Nicht "Everbodys Darling" meint der junge Weinmacher: Die komplexen, von den Weinführern hochbewerteten Weine, zielen auf Weinliebhaber, die charakterstarke Weine schätzen. So nachhaltig wie das Gebäude mit dem begrünten Holzdach und der Photovoltaikanlage sind die Gewächse in der Flasche: In Ruhe gereift bereiten sie Weinliebhabern lange Freude.
"Nachhaltigkeit ist für mich mehr als nur ein Modewort oder ein Trend. Es ist etwas absolut Wesentliches.", sagt Jochen Dreissigacker.
Und genau dafür hat ihm Great Wine Capitals den „Best of Wine Tourism- Award“ in der Kategorie „Nachhaltigkeit im Tourismus“ verliehen. Besucher können sich bei Führungen im Weingut selbst von dem Konzept überzeugen.
Über den Blogger
Der TV- und Weinjournalist Wolfgang Junglas betreut beim SWR Fernsehen in Mainz in der Unterhaltungsredaktion Sendungen wie "Wahl der Deutschen Weinkönigin." Er ist Buchautor, Vorsitzender von Weinfeder eV, Präsident von FIJEV und Lehrbeauftragter an der Hochschule Geisenheim – und seit 2021 der Blogger von GWC Mainz | Rheinhessen.