Blog Winzer für ein Jahr
Sie schneiden die Reben im Weinberg, sie ernten und sie lernen, wie man eine Cuvee macht – und am Ende machen sie sogar ihren eigenen Wein: "Wir wollten den Leuten die Gelegenheit geben, ein Jahr kennenzulernen, was der Winzer so macht ", sagt Wolfgang Thomas. Wir sitzen in der Vinothek des Weinguts Kern im rheinhessischen Wallertheim, nebenan lernen die Teilnehmer gerade alles über Rebenzucht, Rebschule und Klone. "Die Leute tauchen wirklich tief in den Alltag des Winzers ein – komplett mit Wetter und Familie", sagt Thomas: "Weinmachen zum Anfassen."
Wolfgang Thomas ist einer der rund 200 Wein- und Kulturbotschafter in Rheinhessen, die Weinliebhaber informieren ehrenamtlich und in ihrer Freizeit über rheinhessische Kultur, organisieren Führungen zu Sehenswürdigkeiten oder Geologie der Gegend. Vor allem aber informieren sie über die Weinregion Rheinhessen mit seiner ungeheuren Vielfalt von Weine, Rebsorten und Weingütern, klären über Terroir und Klima auf, und über das Weinmachen allgemein.
Es war 2016, als Thomas und seine "Ideenschmiede" die Idee für einen Workshop hatten, der das ganze Weinjahr abdeckt. "Wir wurden immer nach noch mehr Informationen gefragt über das Weinmachen, die Leute wollen tiefer gehen", erzählt Thomas, "also erfanden wir das Projekt 'Winzer für ein Jahr'." 52 Teilnehmer kamen gleich im ersten Jahr, in diesem starteten 32 Teilnehmer in fünf Weingütern ihre Entdeckungsreise in die Welt des Weinmachens.
Viermal im Jahr trifft sich jede Gruppe für einen ganzen Tag zum Workshop. "Mit dem Rebstock sprechen" markiert den Start ins Jahr, es ist der Termin, bei dem die Teilnehmer hinaus in den Weinberg gehen, Reben schneiden und binden. "Wir hatten minus 12 Grad beim ersten Mal", erinnert sich Thomas, "trotzdem waren die Leute begeistert – und beeindruckt." Die meisten Menschen wüssten einfach wenig über die Techniken des Weinmachens, den Einsatz von Hightech etwa auch beim Schneiden. "Man bekommt dann einen ganz anderen Zugang zum Wein", sagt Thomas.
Und eine andere Wertschätzung: "Draußen können die Leute wirklich sehen, was die 'Handschrift des Winzers' bedeutet", sagt Thomas. Im Weinberg wird das Thema Terroir ganz real, die Arbeitsmenge des Winzers auch. "Die Leute sagen hinterher immer, wir verstehen jetzt das Produkt in der Flasche viel besser", sagt Thomas, "und dass man für einen handwerklich gemachten Wein einfach mehr als zwei Euro ausgeben muss."
Nebenan lauscht Hubert Schneider intensiv den Erklärungen von Winzer Volker Kern über das Propfen von Reben und die Aufzucht der jungen Triebe. "Ich bin passionierter Weintrinker", sagt Schneider, "und ich wollte besser verstehen, wie dieses Naturprodukt gemacht wird." Die "lebendige Rebe" ist das Thema dieses Workshops, es geht um verschiedene Rebsorten und den Wuchs im Weinberg.
Im Sommer steht "Eine Cuvee entsteht" auf dem Stundenplan, dann machen die Teilnehmer bei einer "grünen Lese" – dem Entblättern im Weinberg – mit, lernen den richtigen Umgang mit dem Weinmost und diskutieren die Frage der richtigen Erntezeitpunkts. Im Herbst dann steht die Lese an, eine echte Handlese im Weinberg, die Arbeit an der Weinpresse, die Kunst des Weinvergärens und den Einsatz der Hefen im Keller. "Man kann den Wein viel bewusster genießen, wenn man die Arbeit dahinter kennt", sagte Monika Menschel: "Jeder Tropfen ist etwas Wertvolles."
Menschel würde gerne den "Winzer für ein Jahr" auch an der Naher installieren, auch Regionen aus Australien und Großbritannien haben schon nach dem Konzept gefragt. "Wir werden schon kopiert", sagt Thomas, "da bin ich schon stolz drauf."
Nach der Ernte im vergangenen Jahr bekam jeder Teilnehmer fünf Liter Weinmost im einem Glasballon, dazu Schlauch und Weinhefe. "Die Leute haben sich richtig reingekniet in die Aufgabe, ihren eigenen Wein herzustellen", erzählt Thomas, "manche haben sogar nasse Handtücher zur Temperaturkontrolle bei der Vergärung genutzt – das hat funktioniert." Im Januar dann traf sich die Gruppe für eine ganz spezielle Weinverkostung ihrer selbst hergestellten Weine. "Es war genial", sagt Thomas, so viele verschiedene Ergebnisse habe es dabei gegeben. Am Ende aber war der beste Wein "der des Buchhändlers."
Über die Bloggerin
Die Journalistin Gisela Kirschstein lebt seit 1990 in Mainz und ist unter anderem für ihre Website Mainz& ständig auf der Suche nach spannenden Themen aus Mainz und Rheinhessen. 2015 gewann sie den internationalen Bloggers' Contest der Great Wine Capitals.